Speere und Lanzen
Ein Speer ist eine langschäftige Stichwaffe, die sich durch Art und Beschaffenheit sowohl zum Stoß als auch zum Wurf eignet. Eine Lanze ist länger und kräftiger als ein Speer und eher zum Stoßen als zum Werfen gedacht. Der Stoß dürfte jedoch weitaus wuchtiger ausfallen als beim Speer.
Die Schäfte beider Waffen sind meist aus Esche oder Haselnuss. Ebenso denkbar dafür wären weitere heimische Hölzer mit einer hohen Zähigkeit und Festigkeit. Kurzfaserige Holzsorten wie Eiche oder weiche Sorten wie Kiefer sind eher ungeeignet. Am oberen Ende des Schaftes ist eine blattförmige oder mit Widerhaken versehene Spitze befestigt. Letztere wurden mit Sicherheit für spezielle Wurfspeere gefertigt, da sie im gejagten Wild oder bei einem Kampf im feindlichen Körper bzw. im feindlichen Schild oder sogar Pferd stecken blieben und hierdurch weitere Schäden anrichteten.
Der Speer gehört zu den frühesten Waffen der menschlichen Geschichte. Die in unserer niedersächsischen Region gefundenen "Schöninger Speere" aus der Altsteinzeit werden als die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt eingestuft.
Belegt sind Speere auch von der Antike bis in das späte Mittelalter. Heute erfreut sich der Speer noch als Sportgerät bei den Leichtathleten bei großer Beliebtheit.
Ein sehr großer Fund von Lanzen und Wurfspeeren liegt uns aus dem Nydam-Moor vor. Hier sind mehr als 370 Lanzenspitzen sowie die Spitzen von mehr als 360 Wurfspeeren – dazu viele Fragmente von Schäften – geborgen worden, die zu unterschiedlichen Zeiten (ca. 220 bis 400 n. Chr.) an diesem Opferplatz niedergelegt wurden. Auch im Moor von Thorsberg wurden in dieser Zeit offensichtlich Lanzen und Speere geopfert. Hier fand man aber lediglich Teile von Lanzen– sowie Speerschäften.
Im gesamten Frühmittelalter ist eine kontinuierliche Benutzung von Lanzen und Wurfspeeren feststellbar. Es gibt zahlreiche bildliche Dokumente wie beispielsweise im Stuttgarter Psalter, im Utrechter Psalter, auf dem Teppich von Bayeux sowie auf dem Helm von Vendel oder dem Kästchen von Auzon (Franks casket).
Natürlich fanden sich auch entsprechende Grabbeigaben in sächsischen Gräbern. Hier aber noch mal der Hinweis, dass nicht jedes Grab entsprechende Beigaben hatte. Der Anteil an waffenführenden Gräbern war eher gering.
Im sächsischen Gräberfeld Liebenau (Belegungszeit 4.– 9. Jahrhundert) sind in unterschiedlichen Gräbern Lanzen beigegeben worden. Die Anzahl der beigefügten Waffen und auch die Kombination ist jedoch stets verschieden. So gibt es ein Grab mit Lanze, Schwert, Sax und Schild (O11/A1), eines mit Lanze, Sax und Schild (P12/A1) und eines nur mit Lanze und Schild (H12/A5).
Zur Lanzenspitze aus der Rullstorfer Körperdoppelbestattung A04 lassen sich ausschließlich im norddeutschen Raum Parallelen finden. Diese Form mit ihrer runden Tülle und dem langen breiten Blatt ist vergleichbar mit der aus dem Reitergrab von Hamburg- Schnelsen, Grab 3 von Hollenstedt und Grab 1 von Tangendorf. Die Spitze aus Rullstorf gehört aber mit ihren 34,3 cm Länge zu den kleineren Vertretern dieser Gruppe. Sie lassen sich aber recht präzise in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts datieren.
Um die Wende zum 8. Jahrhundert treten zudem Flügellanzen auf. Alle diese Lanzen sind mit furnierten Torsionsdamasten hergestellt und ihre Blätter bestehen aus sieben Schweißbahnen. Zwei verschiedene Formen sind erkennbar:
Die Form I gelang bis etwa zur Mitte des 8. Jahrhunderts in die Gräber. Das Blatt ist selbst sehr schlank und nur wenig länger als als die Tüllenpartie.
Lanzen der Form II datieren in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts. Auffällig hieran ist das Verhältnis von Blatt- zu Tüllenlänge. Untersuchungen ergaben, das bei diesen Lanzen die Blattlänge bis zum 2,9 fachen der Tüllenlänge beträgt. Das Blatt selbst ist deutlich breiter und weist seine größte Breite in der Mitte auf.
Über die Länge einer Lanze im 8. Jahrhundert gibt uns das Grab 27-28 auf dem sächsischen Gräberfeld Sarstedt Aufschluss. Hier wurde in Verlängerung zur Lanzenspitze am Fußende des Bestatteten eine Eisentülle mit Dorn gefunden, die als Lanzenschuh angesehen wird. Aus dem Abstand zwischen Lanzenspitze und Lanzenschuh ergibt sich eine Lanzenlänge von etwa 2,40 m. Die Sarstedter Lanzenspitze weist schon eine längere Tülle auf, hat jedoch noch keine "Flügel"
Literatur- und Quellenangabe:
Westphal, Herbert - Franken oder Sachsen?, Untersuchungen an frühmittelalterlichen Waffen, Studien zur Sachsenforschung 14, 2002
Bildquellen:
Abb.3: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Stuttgarter Psalter. Foliant (18)-7v
Abb.4: Utrechter Psalter, Foliant 035V
Abb.6: Hornig, Cornelius - Das spätsächsische Gräberfeld von Rullstorf, 1993 (Tafel 6, 14)
Abb.8: Westphal, Herbert - Franken oder Sachsen?, Untersuchungen an frühmittelalterlichen Waffen, Studien zur Sachsenforschung 14 (Abb. 3.2.1.a)
Abb.9: Westphal, Herbert - Franken oder Sachsen?, Untersuchungen an frühmittelalterlichen Waffen, Studien zur Sachsenforschung 14 (Abb. 3.2.5.)
Abb.10: Cosack, Erhard - Studien zur Sachsenforschung 16, (Abb. 37, 1a)