Grundgedanken zum Beginn einer Geschichtsdarstellung
"Hey, Hallo, ich möchte Mittelalter (oder eine andere Zeitepoche) machen. Kann mir wer helfen? Wie fange ich an?"
Solche und ähnliche Fragen werden immer wieder in Foren und in sozialen Netzwerken gestellt. Als Antwort bekommt man dann meist zu lesen, man solle sich zunächst eine Zeit, eine Region und einen Stand überlegen und dann mit der Recherche anfangen. Vom Grundsatz ist diese Überlegung ja auch nicht falsch. Aber sie ist ziemlich voreilig und es kann passieren, dass der Fragesteller hiermit auch überfordert ist.
Aber wie fange ich nun an?
Die erste Grundüberlegung sollte die Frage nach der Zielsetzung sein. Also was mit der Geschichtsdarstellung eigentlich bezweckt werden soll. Warum möchte ich das machen und was will ich damit erreichen?
Dann sollte man sich fragen für wen diese Darstellung gemacht werden soll. Für sich selbst oder für andere? Möchte ich Dritten gegenüber damit auftreten oder etwas nur für mich selbst entwickeln?
Die dritte Frage ist dann die Frage nach der Ernsthaftigkeit der Darstellung. Hier geht es dann auch schon um den Zeit- und Kostenaufwand, der in diese Darstellung gesteckt wird. Wie intensiv darf ´s denn sein und was ist für mich überhaupt machbar?
Das Aquarium in der Geschichtsdarstellung
Niemand ist von 0 auf 100 gestartet. Alle haben irgendwo klein angefangen und sich dann in ihre gewählte Richtung weiterentwickelt. Ich vergleiche das gerne mal mit einem Aquarium. Man beginnt mit einem Goldfischglas und freut sich darüber, dass sich der Fisch wohl fühlt und es alles nett aussieht. Dann will man aber mehr. Ein ordentliches Aquarium mit mehr Fischen und auch Pflanzen muss her. Auch dieses ist irgendwann nicht mehr zufriedenstellend. Man beginnt sich zu spezialisieren. Soll es ein Kaltwasser oder Warmwasseraquarium sein? Welche Fische sollen eingesetzt werden? Welche Pflanzen sind dazu die Besten, bzw. Geeignetsten? Sollen auch Korallen drin sein? Hier gibt es die unterschiedlichsten Zielrichtungen.
Und ganz genau so ist auch im Hobby der Geschichtsdarstellung. Es gibt unterschiedliche Zielrichtungen. Und das ist auch gut so, denn dieses Hobby ist sehr "bunt" und breit gefächert.
Quo Vadis? Wohin geht die Reise?
Auf der Suche nach der "richtigen" Darstellung stolpert man immer wieder über verschiedene Begriffe wie "Reenactment", "Living History" und "Histotainment". Es gibt da auch noch so einiges mehr. Der Einfachheit halber möchte ich es an dieser Stelle zunächst bei diesen drei Begriffen belassen.
Aber was bedeutet das eigentlich?
Unter Reenactment versteht man genaugenommen eine Neuinszenierung, also Wiederaufführung von konkreten historischen Ereignissen, dieses nach Möglichkeit auch noch an Originalschauplätzen. Die Schlacht von Hastings wäre z.B. eine solche Reenactmentveranstaltung.
Anzumerken ist hier auch, dass der Begriff "Reenactor" in Deutschland fälschlicherweise für alle Geschichtsdarsteller angewendet wird. Ein "Reenactor" ist eigentlich jemand, der etwas "Re – en – actet", also etwas wiederaufführt.
Die Bezeichnung "Living History" (englisch für "gelebte Geschichte") hat ihren Ursprung in der museumspädagogischen Praxis. Es handelt sich hier um eine Wissenspräsentation, die dem komplexen Lernverhalten des Menschen gerecht wird und ist gleichzeitig eine Lehrmethode, die weit mehr als oberflächliches Faktenwissen vermittelt. Als "erlebnisorientierte Lernorte" sind zum Beispiel archäologische Parks, Freilichtmuseen, Burgbelebungen, aber auch verschiedene Präsentationen in Museen zu verstehen. Living History ist keine Darstellungsform, sondern eine Vermittlungsform.
Beim "Histotainment" handelt es sich um den Versuch, historische Informationen in Form von Unterhaltung zu vermitteln. Dieses können zum Beispiel historische Romane, Historienfilme und Fernsehbeiträge mit zeitgeschichtlichen Themen sein. Auch die meisten Mittelaltermärkte fallen in diese Rubrik.
Diese drei Begriffe sind immer auf die jeweiligen Situationen und nicht auf Personen anzuwenden.
Ein Beispiel: Ein Darsteller, der einen Normannen des 11. Jahrhunderts darstellt, macht "Reenactment", wenn er in Hastings die Schlacht von Hastings nachstellt; "Living History", wenn er an einer Burgbelebung auf einer französischen Turmhügelburg teilnimmt und "Histotainment", wenn er auf dem Mittelaltermarkt in Hannover – Herrenhausen vor seinem Zelt sitzt.
Er bleibt immer derselbe in derselben Darstellung.
Wer hat Angst vor dem "großen bösen A"?
Unterschiedliche Veranstaltungen mit unterschiedlichen Konzepten legen Wert auf eine gewisse Qualität einer Darstellung. An dieser Stelle stößt man immer wieder auf das große "A". Gemeint ist hier eine "authentische" Darstellung. Doch was bedeutet das genau? Die Diskussionen hierzu sind nahezu unendlich und ufern ins Bodenlose. Der Grund ist schnell erklärt: Jeder versteht unter "authentisch" etwas anderes. Es ist ein subjektiver Begriff für den es keine genaue Definition gibt.
Der Duden erklärt uns, dass dieses Wort soviel wie "nicht geschönt; unverfälscht, echt; den Tatsachen entsprechend und daher glaubwürdig" bedeutet.
Es gibt Meinungen, die fassen die "Echtheit" einer Darstellung in Prozentzahlen zusammen (100% A). Um aber überhaupt ein "100%" fassen zu können, benötigen wir eine objektive Messlatte um zu definieren, wo sich dieses 100% überhaupt befindet. Es ist jedoch nicht möglich einen subjektiven Begriff objektiv zu definieren.
Zudem orientiert sich jede dargestellte Epoche an unterschiedlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Auch einheitliche Qualitätsstandards sind nicht möglich.
Der Duden bietet als Synonym auch "Glaubwürdigkeit" an. Wir können daher das Wort "Authentisch" auch als Versuch einer weitestgehenden Annäherung oder glaubwürdigen Simulation der Vergangenheit erklären.
Hierzu ein Beispiel aus der Gegenwart: Ein Briefträger ist "authentisch", wenn er im gelben Postauto vorfährt. Kommt er jedoch mit einem roten Auto, merkt jeder sofort, dass etwas nicht passt.
Für eine glaubwürdige Geschichtsdarstellung sollten wir uns an Objekte, Ausrüstungsgegenstände, etc. halten, die für diese Darstellung auch zutreffen und am besten auch belegbar sind. Wer dieses nicht tut, fährt im Grunde das "rote Postauto". Natürlich fährt es auch und man kann die Post damit verteilen. Aber es ist eben nicht "glaubwürdig"!
Recherche? Muss das sein?
Je nachdem welchen Weg man einschlagen möchte kann es hilfreich sein, sich mit seiner Darstellung etwas intensiver auseinanderzusetzen.
In den Bereichen, in denen man in der Wissensvermittlung arbeitet und Besuchern Rede und Antwort stehen muss, ist dieses sogar zwingend notwendig.
Es müssen also Informationen eingeholt werden. Doch wo findet man die am besten? Welche Quellen sind zuverlässig? Man muss sich hier leider im Klaren darüber sein, dass Google und Wikipedia nicht immer Recht haben. Leider sind auch nicht immer alle "TV – Dokus" zufriedenstellend. Über Fernsehserien braucht man sich an dieser Stelle auch keine Gedanken machen. Auch diese sind in der Regel nicht historisch korrekt.
Die beste Quelle ist natürlich die Fachliteratur zum jeweiligen Thema. Diese Bücher enthalten sehr viel Wissen und Hintergrundinformationen. Aus diesem Grund sind solche Bücher leider nicht so preiswert. Eine Lösung wäre hier ein Besuch in einer Bücherei, in der man sich Fachliteratur für wenig Geld ausleihen kann. Sollte ein bestimmtes Buch nicht vorrätig sein, so gibt es auch die Möglichkeit der sogenannten Fernleihe. In der Regel kann eine Bücherei jedes gewünschte Buch aus einer anderen Bücherei anfordern und es sich zuschicken lassen. Das Ausleihen solcher Bücher ist ebenfalls preisgünstig.
Museumsbesuche sind weiterhin eine gute Möglichkeit, sich mit dem Leben und den Alltagsgegenständen der damaligen Menschen auseinanderzusetzen. Vieles ist dort zu sehen und kann auch für einen Nachbau fotografiert werden. Bitte aber erst immer fragen, ob es erlaubt ist!
Von Museen, archäologischen Vereinen, Heimatvereinen etc. werden hin und wieder Seminare und Vorträge zu bestimmten geschichtlichen Themen angeboten. Eine Teilnahme hieran ist eine gute Möglichkeit, sein Wissen zu erweitern und seine Darstellung weiter auszubauen.
Spieglein, Spieglein an der Wand. Trag´ ich Kostüm oder Gewand?
Da auch diese Frage viele bewegt, soll auch hier kurz darauf eingegangen werden. In der "Living History", die seit den 1930er Jahren in den USA als Bestandteil der museumspädagogischen Praxis entstanden ist, wird der Wissensvermittler als "Costumed Interpreter" bezeichnet. Übersetzt bedeutet dieses, dass er als kostümierte bzw. verkleidete Person angesehen wird. Dieses entspricht auch in Deutschland den Tatsachen. Geschichtsdarsteller tragen demnach ein Kostüm oder eine Verkleidung. Da aber diese Begriffe in Deutschland überwiegend in anderen Bereichen, wie Theater, Filmproduktionen oder Karneval angewendet werden, finden sie im Bereich der Geschichtsdarstellung keine Akzeptanz. Der Begriff "Gewandung" hat sich eingebürgert und durchgesetzt. Von vielen Darstellern ist in der jüngsten Zeit jedoch zu beobachten, dass auch dieser Begriff Ablehnung findet, da er zu "hochtrabend und überheblich" daherkommt. Hier fallen dann die Begriffe "historisch korrekt nachempfundene Bekleidung" oder einfach nur "Bekleidung", "Klamotte" oder "Kluft". Die Diskussionen laufen noch.
Und wie geht´ s nun weiter?
Wer sich über seine Antworten zu den oben genannten Grundsatzfragen im Klaren ist, ist nun an dem Punkt angekommen sich Gedanken zur Suche nach der "richtigen" Darstellung zu machen. Was die "richtige" Darstellung ist, muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Und auch der eigene Anspruch an sich selbst spielt eine große Rolle dabei. Wichtig ist, dass man seine Zielsetzung im Auge behält, auch wenn sich diese im Laufe der Zeit einmal ändert. Ab und zu sollte man auch mal einen Blick auf sein "Aquarium" werfen und sich überlegen ob man noch zufrieden mit diesem Anblick ist, oder ob man etwas umgestalten möchte. Eine Grenze nach oben gibt es nicht. Dieses Hobby unterliegt ständigen Veränderungen. So richtig fertig wird man sicherlich nie. Aber das macht dieses Hobby ja auch so spannend.
Und jetzt geht´ s richtig los!
Welche Kleiderschnitte gab es zu meiner dargestellten Zeit? Was hat man "unten drunter" angezogen? Welche Ausrüstung brauche ich? Was sind Interpretationen und wie weit darf man gehen? Welche Händler bieten mir den Artikel, den ich dringend benötige? Welcher Handwerker kann mir etwas herstellen? An wen kann ich mich wenden, wenn ich für eine Zeitstellung weitere Fragen habe?
Fragen über Fragen, die sicherlich niemals enden. Du hast den ersten Schritt getan und bist dir darüber im Klaren, was du eigentlich genau machen möchtest. Das ist schon sehr viel Wert und die "halbe Miete" auf dem Weg zu einer Geschichtsdarstellung. Behalte dein Aquarium im Auge und arbeite daran. Du wirst sehen, ganz egal welchen Weg du in diesem Hobby auch einschlagen möchtest – es wird dir sehr viel Spaß machen!
Literatur- und Quellenangabe:
Carstensen, Jan; Meiners, Uwe; Mohrmann, Ruth-E. (Hg.) - Living History im Museum, 2008
Dachverband Archäologischer Studienvertretungen - Vermittlung von Vergangenheit, Gelebte Geschichte als Dialog von Wissenschaft, Darstellung und Rezeption, 2011
Hoffmann, Erwin – Mittelalterfeste in der Gegenwart. Die Vermarktung des Mittelalters im Spannungsfeld zwischen Authentizität und Inszenierung, 2005
Sturm, Andreas & Beyer, Angharad – Die Qualität von Living History in Deutschland – eine kritische Standortbestimmung, 2008
Sturm, Andreas – Im Dialog mit der Vergangenheit. Geschichte lernen und erleben durch Living History, 2013
Sturm, Andreas – Didaktik und Qualitätssicherung performativer Geschichtsdarstellung, 2013
Sturm, Andreas – Weg mit den Scheuklappen. Einige Thesen zur Qualitätssicherung in der performativen Geschichtsdarstellung, 2014
Bildquellen:
Abb.1: Jan- Till Taufer (Borka)