Die Irminsul
Deutung und Darstellung
Die bis zu 38 Meter hohen Felsen der Externsteine im Kreis Lippe waren bereits im 18. Jahrhundert eine besondere Touristenattraktion. Die alten Bearbeitungsspuren in den Grabkammern und Grotten, aber auch das monumentale romanische Kreuzabnahmerelief an der Außenseite beflügelten seitdem die Phantasie der Historiker.
In der völkischen Interpretation des Nationalsozialismus wurden die Externsteine mit der Christianisierung der Sachsen in Verbindung gebracht. Man sah in ihnen ein germanisches Gestirnheiligtum, das später christlich überformt worden sei.
Ausgrabungen, die 1936 bei den Externsteinen durchgeführt wurden, führten zu deren "Rückgestaltung" in ein germanisches Heiligtum. Der Grabungsleiter und "Germanenforscher" Wilhelm Teudt (* 1860, † 1942) wollte in den Felsformationen eine "Kultstätte der Ahnen" mit Steintisch, Totenfeuerschacht und Sonnenheiligtum erkennen. Er sah sich in der Vermutung bestätigt, dass Karl der Große genau an diesem Ort im Jahre 772 die Irminsul (Weltensäule) zerstört hatte, von denen die fränkischen Reichsannalen berichteten. Als Beleg diente, neben dem angeblichen Fund des "Standloches der Irminsul", auch ein palmenartiges Detail in dem großen Kreuzabnahmerelief.
In dieser gebogenen Palme bzw. dem Stuhl, auf dem der Nikodemus des Kreuzabnahmereliefs steht, erkannte er die abgeknickte Irminsul. Zeichnerisch wieder aufgerichtet, stand diese nun neu erfundene Irminsul für die Wiedererhebung des Heidentums über das Christentum. In dieser Darstellung und mit dieser Deutung wurde die Irminsul im Nationalsozialismus in der SS-Forschungseinrichtung "Ahnenerbe" verwendet.
Trotz wissenschaftlicher Widerlegung, findet sich diese Deutung auch heute noch in esoterischen und in rechten Kreisen wieder.
Einige Varianten dieser Darstellung wurden von dem 1951 gegründeten rechtsextremen Verein "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." für ihre Zwecke verwendet. Dieser rassistisch - völkische Verein wurde am 27.09.2023 vom Bundesinnenministerium aufgelöst und verboten. Auch die Verwendung dieser Darstellungsvarianten der Irminsul sind seitdem strafrechtlich untersagt!
Dieses, von Teudt entwickelte Symbol, findet leider auch in der Mittelalterszene/ Geschichtsdarstellung einen unreflektierten Zuspruch.
Historisches
Historisch wird die Irminsul als besonders mächtiges Exemplar eines Holzidols und als ein sächsisches Heiligtum beschrieben. Rudolf von Fulda (* vor 800 ?, † 865) bezeichnet sie auch als einen aufgerichteten Baumstumpf von beträchtlicher Größe. Der Standort der Irmensul, die Karl der Große 772 fällen ließ, ist jedoch nicht eindeutig zuzuordnen. Die Externsteine im Teutoburger Wald ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Andere Beschreibungen lassen sie in Irmenseul im Landkreis Hildesheim (siehe Text weiter unten) oder der Eresburg, an deren Stelle das heutige Obermarsberg (Hochsauerlandkreis) liegt, vermuten. Die fränkischen Reichsannalen beschreiben an diesem Ort die Existenz einer "Erminsul".
Klar ist jedoch, daß es sich bei dieser Säule nicht um ein sächsisches Zentralheiligtum gehandelt hat. Auch der Name der Säule leitet sich keinegswegs von einem Gott namens Hirmin oder Irmin ab. Vielmehr stammt der Name von dem altnordischen jormun, was soviel wie "riesig" bedeutet. Demnach lässt sich der Name am besten mit "Riesige Säule" erklären. Da ohnehin Pfähle und Pfahlgötzen als germanische Heiligtümer belegt sind, ist anzunehmen, dass es auch mehrere Säulen dieser Art gab. Anlass zu dieser Vermutung ist auch die Tatsache, dass Rudolf von Fulda die 772 abgerissene Irminsul nie gesehen haben kann und sie trotzdem beschreiben konnte.
Der Ort Irmenseul
Die Ortschaft Irmenseul, 1298 als „Ermensulle“ erwähnt, leitet ihren Namen von der Irmensul her, die der Sage nach auf der Bornhöhe an einem Quell gestanden hatte. Auch viele Flurnamen der Region deuten darauf hin. Wissenschaftlich belegt ist dieses jedoch nicht.
Nach einer aus dem 16. Jahrhundert dokumentierten Überlieferung befinden sich Reste der Irminsul im Hildesheimer Dom. Laut einer Beschreibung des Historikers Walther Matthes (* 03.09.1901, † 20.01.1997) wurde bei der Errichtung des Klosters Corvey (ab 822) eine alte Steinsäule im Boden gefunden. Hierbei soll es sich um die von Karl dem Großen eroberte Irminsul handeln, die man nach deren Zerstörung an dieser Stelle vergraben hatte. Unter dramatischen Umständen sei diese Säule dann nach Hildesheim geschafft worden um sie im Dom als Kerzenständer aufzustellen. Im Originaltext von Johannes Letzner (* 29.11.1531, † 16.02.1613), Pfarrer und Landeshistoriker, aus dem Jahr 1590 heißt es, dass Sachsen dem Tross in Richtung Hildesheim gefolgt seien und diesen in Höhe des heutigen Ortes Irmenseul überfallen hätten, um die Säule zurückzubringen. Dieses jedoch ohne Erfolg.
Auch wenn der historische Standort nicht gesichert ist, wurde im Oktober 1996 auf der Bornhöhe am Romberg eine moderne Interpretation der Irminsul aufgestellt. Der 9 Meter hohe Eichenstamm trägt einen Radkreuz- Aufsatz. Die Gestaltung der Irmensäule ist an das Ortswappen angelehnt. Eingeweiht wurde das Denkmal im Juni 1998 zur 700-Jahr-Feier des Dorfes. Der unter anderem mit Findlingen, Sitzbänken und einem Infotafel- Unterstand gestaltete Platz auf dem Romberg bietet eine gute Aussicht ins Umland und ist zu einem Ausflugsziel insbesondere für Wandergruppen geworden.
Literatur- und Quellenangabe:
Barner, Wilhelm - Wappen und Siegel des Kreises Alfeld, August Lax Verlag Hildesheim, 1940
Grütter, Heinrich Theodor; Jung, Patrick, Stephan-Maaser, Reinhild - Werdendes Ruhrgebiet. Spätantike und Frühmittelalter an Rhein und Ruhr, 2015
Halle, Uta - Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch! Prähistorische Archäologie im dritten Reich, 2002
Simek, Rudolf - Religion und Mythologie der Germanen, Theiss
Simek, Rudolf - Götter und Kulte der Germanen, C.H. Beck
Springer, Matthias - Art.Irminsul in Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Band 15
Springer, Matthias - Die Sachsen, 2004