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Zur Quellensituation

Um in heutiger Zeit eine Aussage über eine Bevölkerungsgruppe zu geben, die in früherer Zeit lebte, zieht die Wissenschaft zwei Arten von Quellen heran. Zum einen handelt es sich um schriftliche Aufzeichnungen, zum anderen um archäologische Erkenntnisse.

Geschichte wird von Siegern geschrieben...

Seite aus einer Abschrift der Fredegar-Chronik
Abb.1 Seite aus einer Abschrift der Fredegar-Chronik

Schriftliche Aufzeichnungen der einheimischen (genuinen) Bevölkerung, die um 700 in unserer Region lebte, liegen leider nicht vor. Eine eigene sächsische Geschichtsschreibung setzt erst im 10. Jahrhundert ein. Aus diesem Grund müssen wir auf die Schriftquellen zurückgreifen, die zeitgenössische Autoren aus anderen Gebieten hinterlassen haben. Diese Autoren bringen natürlich bei ihren Niederschriften einen fremden Blickwinkel und eine eigene Interpretation in die Schilderungen ein, da sie zum ersten einem ganz anderen Kulturkreis angehörten und zum zweiten auch nicht unbedingt Aussagen über eine sächsische Kultur und Lebensweise vermitteln wollten. Diese Tatsache muss beim Lesen dieser Schriften stets berücksichtigt werden.
Zu bedenken gilt auch, dass literarische Werke des Mittelalters nicht für eine unbekannte Öffentlichkeit geschrieben wurden. Sie waren für Personen oder Gemeinschaften bestimmt, die dem Verfasser bekannt waren. Oftmals handelte es sich um Auftragsarbeiten oder um Schriften, die einen bestimmten Leser beeinflussen sollten.

Der erste Verfasser, den wir hier nennen möchten, war der Bischof Gregor von Tours (*30.11.538 oder 539, †17.11.594 ?), der mit seinen "Decem libri historiarum" fränkische Kontakte zu einer Bevölkerung beschrieb, die er "saxones" nannte. Neben diesen Saxones erwähnte er noch die Alamannen und eine weitere Gruppe als "die Völker, die jenseits des Rheins wohnen". Wen er genau mit dieser Gruppe meinte und wo sie lebten, ist nicht bekannt. Wir können aber davon ausgehen, dass er mit diesen "Völkern" nicht die Franken, Saxones oder Alamannen gemeint hat, da Gregor diese separat nannte. Somit scheint es, als lebten jenseits des Rheines nicht nur "Saxones", sondern noch andere Stammesverbände.

Abb.2 Darstellung von Beda Venerabilis
Abb.2 Darstellung von Beda Venerabilis

Als eine sehr wichtige und zuverlässige Quelle gilt die "Kirchengeschichte des englischen Volkes" (Historia ecclesiastica gentis Anglorum), die von dem angelsächsischen Mönch und Geschichtsschreiber Beda Venerabilis (* 672/673 bei Wearmouth in Northumbria; †26. Mai 735 Kloster Jarrow) verfasst wurde. Beda standen die großen Informationsmöglichkeiten des bedeutenden Doppelklosters Wearmouth und Jarrow mit dessen ausgezeichneter Bibliothek und dessen hervorragende Verbindungen in England, nach Schottland, Irland und zum Kontinent zur Verfügung. Seine Werke sind sehr umfangreich und vielseitig. Die Historia ecclesiastica begann er erst spät und vollendete sie im Jahre 731. Dieses Werk ist aber auch über die angelsächsische Geschichte hinaus für die europäische Geschichte von großer Bedeutung. Auch erfahren wir hier einiges über die innereren Verhältnisse der kontinentalen Sachsen in der Zeit vor Karl dem Großen.

Als eine weitere wichtige Quelle, die den politischen Zustand Sachsens vor K.d.G. beschreibt, werden die Lebensbeschreibungen des heiligen Lebuins angesehen. Lebuin war ein angelsächsischer Missionar, der um 770 zur Bekehrung der Friesen und Sachsen entsannt wurde. Um 780 starb er in Deventer. Die erste Lebensbeschreibung, die "Vita antiqua", wurde von einem unbekannten Verfasser vermutlich 840/ 864 niedergeschrieben, der zudem Kenntnisse der Kirchengeschichte des Beda hatte.

Die Chronik des Fredegar geht weitestgehend auf Gregor von Tours zurück. Sie enthält jedoch einzelne Nachrichten, die auf eine andere Überlieferung zurückgehen. Auch hier werden bereits "Saxones" erwähnt.

Zu nennen ist auch die "Historia Langobardorum" des langobardischen Geschichtsschreibers Paulus Diaconus (*720/ 730 † 790/799). Er lebte einige Jahre am Hof Karls des Großen und war hier literarisch tätig.

Als weitere zeitgenössische Geschichtsschreibung können die fränkischen Reichsannalen des 8. Jahrhundert herangezogen werden. Hier wurden die Gegner der Franken klar als "Sachsen" bezeichnet. Gemeint waren damit pauschal alle Bewohner vom heutigen Westfalen bis zur Nordsee und der Elbe. Bekanntlich fielen auch die Friesen unter diese Sammelbezeichnung.

Der Bericht über die "Übertragung der Gebeine des heiligen Alexanders von Rom nach Wildeshausen" enthält einen einleitenden Teil über die Frühgeschichte Sachsens. Als Verfasser gilt der Mönch Rudolf von Fulda (* vor 800 ?, † 865). Er war der einzige Verfasser des Mittelalters, der Kenntnisse der "Germania" des Tacitus verrät, da er von ihm teilweise abgeschrieben und entsprechende Nachrichten auf die Sachsen übertragen hat. Besonders ausführlich ist Rudolf bei der Beschreibung der heidnischen Bräuche. Zu bedenken ist aber, dass er sich auch als Urkundenfälscher betätigt hat. Von ihm stammt auch die Behauptung, dass die Sachsen an der Vernichtung des Thüringerreiches (531) beteiligt waren. In Wirklichkeit wurde das Thüringerreich von den Merowingern ohne sächsische Beteiligung zerstört.

Die Sachsengeschichte "Res gestae Saxonicae" (968) des Widukind von Corvey kann als erste sächsische Niederschrift einer Stammesgeschichte angesehen werden. Diese hat jedoch eher Unterhaltungswert, da sie für die 12- jährige Äbtissin Mathilde von Quedlinburg bestimmt war und ihr auch gewidmet wurde. Widukind war unmittelbar von Rudolf von Fulda abhängig, hat aber dessen Vorlage sehr erweitert und mit anderen Untertönen versehen.

Zurzeit gibt es unter Wissenschaftlern eine Diskussion darüber, wer die Bewohner außerhalb des Elbe-Weser-Dreiecks vor den karolingischen Reichsannalen und der karolingischen Gesetzgebung des 8. Jahrhunderts waren und wie man sie bezeichnen soll.

Gräberfelder erzählen Geschichten...

Als zweite wichtige Quelle können wir auf archäologische Befunde zurückgreifen. Diese geben in einer Art Momentaufnahme klar und unverfälscht Auskunft über die vergangenen Realität. Sie haben den großen Vorteil, dass sie nicht bewusst als Zeugnisse für die Nachwelt angelegt wurden und somit weder absichtlich irreführen, noch als "Dokumente" dienen sollten.
Leider sind archäologische Befunde immer noch sehr fragmentarisch und bieten auch nicht den Einblick in alle Lebensbereiche.

Zeichnung des Gräberfeldes von Rullstorf
Abb.3 Zeichnung des Gräberfeldes von Rullstorf

Neben einzelnen Deponierungen als Opfer, Votive oder Schätze existieren gut datierbare Bestattungsplätze und auch Siedlungsfunde, die als aussagefähige Quellen zur Verfügung stehen. Bei den Gräbern kann man den jeweiligen Bestattungsritus erkennen. Sie bieten uns einen Einblick in die Jenseitsvorstellung und haben somit Elemente des geistig- religiösen Lebens bewahrt. Beigaben, die dem Verstorbenen als notwendige Ausstattung für das Jenseits mitgegeben wurden, geben entsprechend Aufschluss. Darüber hinaus können wir über die unterschiedlichen Inventare der Gräber, deren Lage, Ausrichtung und Größe, auch die sozialen Verhältnisse der Bestatteten ableiten. Auch am Körper getragene Gegenstände wie typische Trachtbestandteile und am Gürtel befestigte Kleingeräte geben Auskunft über die damalige Kultur. Weiterhin gibt es Objekte, auf die der Verstorbene offensichtlich einen Rechtsanspruch hatte. Zu diesen Objekten gehörten im Besonderen auch Waffen. Des öfteren können durch Grabbeigaben auch lokale Merkmale analysiert werden. Hier wäre als Beispiel die Keramikproduktion zu nennen.
Wir müssen uns hier aber auch im Klaren darüber sein, dass jede Grablege immer das Ergebniss einer zeremoniellen Niederlegung ist. Es gab strenge, rituelle Auswahlkriterien. Das bedeutet, dass der Mensch im Grab nicht unbedingt den Menschen zu Lebzeiten repräsentieren muss.

Bei den Siedlungsfunden lässt sich durch die Haus- und Gehöftformen sowie durch die Wirtschaftsweise der kleinräumige Lebensbereich erschließen.

Literatur- und Quellenangabe:
Spitzbart, Günter - Beda der Ehrwürdige, Kirchengeschichte des englischen Volkes, Darmstadt, 2007
Springer, Matthias - Die Sachsen, 2004

Bildquelle:
Abb.1: Paris, Nationalbibliothek
Abb.2: Nuremberg Chronicle, 1493, Foliant 158V, © Cambridge University Library