Unser Tagebuch
Die Rolle der Frau im Frühmittelalter
Belebung der Freilichtanlage am altsächsischen Gräberfeld Liebenau/ Steyerberg am 18./19. Mai 2019
Zusammen mit weiteren Mitgliedern des Vereines RAUZWI - Lebendige Archäologie Mittelweser e.V. beschäftigten wir uns an diesem Wochenende mit den Frauen im frühen Mittelalter. Besucher konnten an beiden Tagen auf der Freilichtanlage zahlreiche Geschichtsdarstellerinnen bei der Arbeit zuschauen. Es wurde nicht nur gewebt und gekocht, sondern auch andere handwerkliche Tätigkeiten, wie die Herstellung von Mollen aus Holz, vorgeführt. Pflanzenkundliche „Altsächsinnen“ haben neben dem vor zwei Jahren errichteten Grubenhaus einen Kräutergarten nach der „Capitulare de villis“ angelegt. Hierbei handelt es sich um eine Aufstellung von Karl dem Großen, der hier zahlreiche Nutzpflanzen verzeichnet hatte, die am Hofe und in den Klöstern vorhanden sein mussten.
Verbrachten die Frauen ihre meiste Zeit wirklich an der Kochstelle und am Webstuhl, während ihnen die Kinder am Rockzipfel hingen? Waren Frauen wirklich darauf limitiert in der damaligen Männergesellschaft lediglich eine untergeordnete Rolle zu spielen? Welche Antworten vermag die archäologische Forschung zu diesem Thema zu geben? Dieses waren die zentralen Fragen die in zwei Erlebnistouren rund um das Gräberfeld beantwortet werden sollten.
Zunächst galt es, sich einmal mit den üblichen Klischees auseinanderzusetzen. Frauen verrichteten untergeordnete Aufgaben, wie kochen, weben oder auch Wasser holen, während die Männer die „hochwertigen“ Arbeiten wie Bronzeguss, Reparaturarbeiten oder das Schmieden von Werkzeugen erledigten. Derartige Zeichnungen und Bilder sind auch tatsächlich noch in den Schulbüchern zu finden und haben somit auch unsere aktuelle Vorstellung von der damaligen Zeit geprägt. Die Archäologie zeigt uns jedoch ein ganz anderes Bild. RAUZWI- Vorsitzende Gundula Tessendorff führte den Teilnehmern der Erlebnistouren Frauen in verschiedenen Lebensumständen vor Augen. Die weiblichen Mitglieder des Vereines schlüpften hierzu in die Rollen von Damen aus der Spätantike, aus dem fränkischen Reich, von Thüringerinnen und natürlich auch von Altsächsinnen. Auch Kathrin war hier mit von der Partie.
Die Gäste begegneten hier zum Beispiel einer Frau, die ganz offensichtlich eine Reiterin war. Diese musste eine ganz besonders hoch gestellte Persönlichkeit gewesen sein, denn Pferde konnten sich nur wohlhabende Leute leisten. Das Zaumzeug und weitere Beigaben in der Grablege dieser Frau bezeugen das.
Auch das Weben am Gewichtswebstuhl war keineswegs eine Aufgabe, die nur der Frau vorbehalten war. Diese Tätigkeit, war auch keine „niedere Arbeit“. Sie diente dem Wohle aller auf der Hofanlage oder Ansiedlung lebenden Personen. Besonders hervorzuheben ist auch, dass es bereits im frühen Mittelalter Stoffe in sehr feiner Qualität gab. Hierzu bedurfte es sehr viel Übung und Fingerfertigkeit. „Dieses waren auch Aufgaben, die nicht ausschließlich von Frauen wahrgenommen wurden. Weben musste jeder lernen, damit es auch weiterging, wenn mal jemand krank war“.
Auch pflanzenkundliche Frauen waren als „Heilerin“ hoch angesehen. Mit Heilkräutern, wie zum Beispiel Beinwell, waren sie in der Lage Verletzungen zu versorgen und Schmerzen zu lindern. Viele dieser Heilpflanzen finden sich auch in der „Capitulare de villis“ wieder.
In der Grablege einer weiteren Frau wurden kleine Stifte aus Metall gefunden. Die Wissenschaft definiert diese Frau als eine Art Seherin, bzw. Wahrsagerin. Solche Frauen haben in der frühmittelalterlichen Gesellschaftsform ebenfalls einen hohen Status gehabt. Sie waren angesehene Persönlichkeiten und durften beispielsweise auch am sogenannten „Thing“, also einer Versammlung von Männern in der es um die Rechtsprechung ging, teilnehmen. Der Rat von solchen Frauen war in dieser Gesellschaft von enormer Wichtigkeit.
Die Erlebnistour führte noch zu weiteren Frauen, wie zum Beispiel der Holzhandwerkerin, der Einwanderin oder auch einer Geisel.
Besonderen wert haben die Frauen im Frühmittelalter auch auf ihr Äußeres gelegt. Das Gräberfeld Liebenau/ Steyerberg ist weltweit bekannt für die Vielzahl von Perlenketten, die in den Frauengräbern gefunden wurden. Die Schönheit dieser Perlenketten ist auch nach über eintausend Jahren im Erdreich nicht verblichen. „Als die neu waren, haben die vermutlich im Dunkeln geleuchtet“, so Tessendorff etwas scherzhaft. Aber nicht nur die Perlen untermauerten die Schönheit der damaligen Frauenwelt. Zahlreiche Funde von Fibeln (Gewandnadeln) in den Grablegen weisen auf ein ganz bestimmtes Modebewusstsein hin. Bei den Fibeln sind in Liebenau/ Steyerberg auch Verbindungen nach England (West Stove) sowie in das damalige Fränkische Reich und nach Thüringen klar erkennbar.
Auch die Bürgermeister Herr Walter Eisner (Samtgemeinde Liebenau) und Herr Heinz-Jürgen Weber (Flecken Steyerberg) ließen es sich nicht nehmen, diese Veranstaltung zu besuchen. Zusammen mit Herrn Christian Alvermann vom Zweckverband Linkes Weserufer gehörten sie zu den ersten Besuchern am Samstag morgen. Diese drei waren auch die ersten Empfänger des neuen RAUZWI Honigsenfes, der mit Zutaten, die es bereits in der Zeit von Karl dem Großen gab, liebevoll von der Firma Leman aus Eystrup hergestellt wird. Neben dem eigentlichen Themenschwerpunkt galt ihr Interesse auch dem Bau des Pfostenspeichers, an dem an diesem Wochenende ebenfalls gearbeitet wurde. Einen sehr guten Einblick in dieses Bauvorhaben lieferte ein Model des geplanten Gebäudes, dass vom Zimmermann Stefan Henke aus Varrel erstellt wurde.