Unser Tagebuch
Silvester bei der "schlechten Saat"
Es ist schon immer etwas besonderes, wenn man im Wikingerdorf der „schlechten Saat“ zu Besuch ist. Um so mehr, wenn man die Gelegenheit hat, dort in der „Grossen Halle“ gemeinsam mit etwa 30 Wikingern den Jahreswechsel zu feiern.
Und so zogen wir dann bereits nach dem Mittagessen los. Die Decken und die grosse Fuchsfelldecke, die wir für die Schlafstatt brauchen sowie die Getränke und das Essen für das Buffett waren in einem großen Weidenkorb verstaut. Die Schaffelle, die uns als Unterlage für die Bettstätte dienten hatten wir in einem großen Leinensack gestopft. Schlauerweise hatten wir noch einen Schlitten mitgenommen, denn es war nicht klar, ob wir das Wikingerdorf direkt mit dem Auto erreichen würden. Auf alle Fälle wäre der Schlitten für die Strecke vom Tor bis zum Eingang der „Grossen Halle“ zum Einsatz gekommen. Und so war es dann auch! Nachdem alle Ihre Autos einmal gehörig festgefahren hatten und mit gemeinsamen Kräften dahin geschoben wurden, wo sie vernünftig parken konnten, wurde das ganze Gepäck auf die Schlitten geladen und zur Halle geschlittert. Wir waren nicht die einzigen, die so ein Teil mitgebracht hatten.
Dort angekommen herrschte erst einmal großer Trubel. Wie alle anderen Frauen auch, richtete Alsunna zunächst erst einmal die Schlafstätte in der uns zugewiesenen Koje in der grossen Halle ein. Da das alle taten und ausserdem noch gleichzeitig vorne das Buffett am Eingang aufgebaut wurde war das ein ziemliches Durcheinander. Die Männer mussten noch einige Male nach oben stiefeln um noch weiteren Fahrzeugen auf die endgültige Parkposition zu helfen. Andere hackten das Holz für das Feuer. Es musste reichlich sein, denn das Feuer in der Halle sollte schliesslich die ganze Nacht brennen. Und der Jarl befahl sehr kleine Stücke zu machen, damit es nicht so stark in der Halle räuchert.
Irgendwann war dann alles erledigt und es kehrte etwas Ruhe ein. Das Feuer brannte in der Mitte des Raumes und alle hatten auf den Bänken vor den Kojen Platz genommen. Udal, der Jarl der „schlechten Saat“ saß auf seinem Thron an der Kopfseite der Halle. Sein Weib Ymme begrüßte alle Gäste mit herzigen Worten und reichte schon mal das erste „Sköllchen“ herum. Gleichzeitig wurde das Buffett mit den Worten „wer essen möchte, der esse“ eröffnet. Und das, obwohl noch nicht einmal alle da waren. Das Buffett war sehr reichhaltig und so mancher hatte sich richtig gute Gedanken gemacht, frühmittelalterliche Speisen auf den Tisch zu stellen. Es war eben alles wikingerzeitlich.
Nach dem Mahl stand eine Gerichtsverhandlung an. Ein Wikinger hatte es doch tatsächlich gewagt, dem Jarl einen Schneeball an den Rücken zu werfen. Dieses wurde als ein heimtückischer Angriff angesehen. Für den armen Wikinger sah es also nicht gerade rosig aus. Als Fürsprecher wurde ihm Olaf zugeteilt. Es war faszinierend mit anzuhören, wie Olaf versucht hat, den armen Kerl zu verteidigen und den Jarl zu einem milden Urteil zu stimmen. Leider hat der Angeklagte sich mit Zwischenworten immer weiter reingerissen, so dass Olaf schon mehrfach sein „Mandat“ niederlegen wollte. Diesem hat der Jarl jedoch nicht zugestimmt. Eine vertrackte Situation. Schliesslich hat sich der Jarl doch davon überzeugen lassen, das der Angeklagte wohl doch nur eine Wespe verjagen wollte um den Jarl zu schützen. Das Urteil fiel mit drei Tafeln Silber relativ milde aus.
Dann flog die Tür der Halle auf. Ein grosser Krieger mit breiten Schultern stand in der Tür. Es war Angus, der sich etwas verspätet hatte. Aber was war das? Anstelle seines Schwertes stützte er sich auf einen Stock. Und was war das im Wehrgehänge? Steckte dort ein Schwert aus Holz? Und warum zitterte er so, wie ein gebrechlicher Greis? Angus war vor einigen Tagen 50 Jahre alt geworden und hatte dieses zuvor als „Trauerfeier“ gefeiert. Sicher wollte er uns nur einmal zeigen, wie ein richtiger alter Mann aussieht. Dem Spott ist er entgangen, nachdem er jedem einen Becher seines hervorragenden Geburtstagsmet eingeschenkt hatte.
Unterdessen wurde draussen das grosse Lagerfeuer entfacht. Eigentlich kann man es nicht als Lagerfeuer bezeichnen. Ich denke mal, so einige Osterfeuer wären kleiner gewesen. Und so zog es erstmal wieder alle nach draussen um am Feuer zu stehen und zu reden und zu trinken. Es wurde sogar gesungen.
Die Feier verlagerte sich von der Halle hin zum Feuer und vom Feuer wieder hin zur Halle. Es wurde gegessen, getrunken und gelacht.
Kurz vor Mitternacht zogen dann wieder alle hinaus zum Feuer. Die großen Rufhörner dröhnten durch die Nacht und begrüßten das neue Jahr. Auch wir hatten unser kleines Rufhorn mitgebracht, welches vom Klang sehr gut mit den anderen Hörnern harmonierte. Ulrich umarmte seine Alsunna, wünschte ihr ein frohes neues Jahrzehnt und stiess mit einem Becher Wein darauf an. In der Ferne konnten wir das Feuerwerk beobachten, was die Bevölkerung der nahen Stadt abbrannte. Es war einfach herrlich. Und sicher konnten die Menschen unten in der Stadt auch die Rufhörner der Wikinger vernehmen.
Die Feier in der Halle ging weiter. So nach und nach kippte dann der eine oder andere nach hinten und legte sich in seiner Koje schlafen. Irgendwann hatten auch wir uns zurückgezogen und es wurde immer ruhiger in der Halle. Als nur noch schnarchen zu hören war, vernahm ich noch die Schritte von Ymme, die noch etwas aufgeräumt hatte und einige der Kerzen löschte. …