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Gut betucht - Textilerzeugung bei den Alamannen

Ein Besuch im Alamannenmuseum in Ellwangen am 20. und 21.06.2020

Die Quellenlage von frühmittelalterlichen Textilien haben wir innerhalb dieser Website schon ausführlich behandelt: Quellenlage und Fundsituation von Textilien. Wir wissen schon länger, dass die Fundlagen nicht sehr üppig ausfallen. Um neue Informationen zu bekommen, sind uns daher auch längere Strecken nicht zu weit.

Die Sonderausstellung "Gut betucht - Textilerzeugung bei den Alamannen" (die aufgrund des Corona- Lockdowns und der damit verbundenen Betriebsschließung des Museums, aktuell bis zum 11. April 2021 verlängert wurde) lockte uns daher in das Alamannenmuseum nach Ellwangen in Baden Würtemberg. Aufgrund der neuen Öffnungszeiten, die sich lediglich auf die Nachmittage beschränken, haben wir für unseren Besuch zwei Tage eingeplant. So hatten wir auch genügend Zeit, uns nicht nur die Sonderausstellung, sondern auch den Rest des Museums in aller Ruhe anzusehen.

Die Redewendung "Gut betucht" gab uns zunächst die Hoffnung, auf reichlich Funde von Tüchern, Stoffen und weiteren Textilien, die uns derzeit noch unbekannt sind. Eine kurze Internetrecherche ergab jedoch, dass sich diese Redewendung keinesfalls auf Textilien oder Tücher bezieht. Das Wort "betucht" leitet sich aus dem hebräischen Partizip "batuah" ab. Hieraus entstand das jiddische Adjektiv "betûche". Der Ausdruck steht für "gut situiert", "finanziell abgesichert" oder auch "vertrauensvoll". Also sind "gut betuchte" Menschen, Menschen, mit denen man gerne Geschäfte macht. Aber da "Kleider ja auch Leute machen", wie ein weiteres Sprichwort sagt, spielte die Kleidung nicht nur als Schutzfunktion eine große Rolle, auch die Ästhetik war ein sehr wichtiger Aspekt. Das galt sowohl bei den Alamannen und hat sich auch bei uns bis heute nicht geändert.

Kathrin am Webstuhl im Grubenhaus in Liebenau

Der Schwerpunkt der Sonderausstellung lag, wie nicht anders zu erwarten, bei der frühmittelalterlichen Herstellung von Textilien. Unter dem Thema "Brechen, Schwingen, Hecheln" wurde der Weg vom Flachs zum Leinen erklärt. Das Thema "Scheren, Waschen, Kardieren" beleuchtete den Weg vom Schaf bis zur Wolle. Und natürlich wurde auch das Thema Spinnen, Weben und Färben behandelt. Für alles gab es nicht nur große Schautafeln und Vitrinen mit entsprechenden Exponaten, auch altes Filmmaterial wurde aufbereitet und auf Monitoren abgespielt. Diese Filme (vermutlich aus den 1950er und 1960er Jahren) waren in der Tat höchst aufschlussreich. Neben einer Tafel mit frühmittelalterlichen Webmustern war das Exponat eines Standfußes von einem Webstuhl für uns sehr spannend und informativ.

Die Quellenlage zur Bekleidung der Alamannen ist leider auch nicht besser, als in "unserer" altsächsischen Zeit und Region. Auch hier haben sich nur kleine Textilstücke, die entweder konserviert in Rost von Eisengegenständen, oder durch die Lagerung in feuchtem Boden, über die Jahrhunderte erhalten können. Demzufolge sind auch die weiteren ausgestellten Repliken auf Interpretationen und Vergleichsfunde angewiesen. Wir waren sehr überrascht darüber, dass auch Vergleiche in den norddeutschen Raum zur Sprache gekommen sind, denn auch die Kleidung der uns wohlbekannten Moorleiche "Bernie" aus dem Bernuthsfeld bei Emden wurde hier mit einer eigenen Schautafel vorgestellt. Der Begleitband zur Ausstellung wagt sogar einige Vergleiche mit Darstellungen aus Italien. So sind hier gleich mehrere Bilder von Mosaiken aus dem 6. Jahrhundert, die aus verschiedenen Kirchen in Ravenna stammen, abgebildet.

Tunika von "Bernie" im
Ostfriesischen Landesmuseum Emden

Ein weiterer Höhepunkt der Ausstellung, war die Rekonstruktion von zwei Grablegen. Ein Frauen- und ein Männergrab. Unter dem Motto "Die Tote auf der Matratze", wurde das Frauengrab 974 aus der "Wasserfurche" von Lauchheim (Ostalbkreis) präsentiert. Bei der Verstorbenen handelt es sich um eine etwa 24 bis 26 Jahre alte Frau, die in einem Baumsarg bestattet wurde. Unter der Toten befand sich eine mit Pflanzenmaterial ausgepolsterte Matratze. Bemerkenswert ist hier eine sehr hochwertige Textilausstattung. Die Verstorbene war in einem Kleid aus chinesischer Maulbeerseide gehüllt und mit einem Tuch aus blauer Wolle in Diamantköperbindung bedeckt. Dieses war noch unterlegt mit einem weiteren Stoff aus Pflanzenfasern. Ein zusätzlicher blauer Wollstoff befand sich fein zusammengelegt, in einem bronzenen Perlrandbecken, dass der Frau als Grabbeigabe mitgegeben wurde.

Bei dem gezeigten Männergrab "Der Mann mit der Leier" handelt es sich um das Grab Nr. 58 aus Trossingen. Auch hier hatten sich organische Materialien ungewöhnlich gut erhalten. Ein im Schulter- und Brustbereich sowie an den Armen nachzuweisender Wollstoff kann mit großer Wahrscheinlichkeit einem langärmligen Kleidungsstück zugeordnet werden. Dunkle und rote Schussgarne lassen die Vermutung auf einen farbenprächtigen Stoff zu. Viele auf den Beinknochen erhaltene Gewebefragmente deuten darauf hin, dass der Tote mit einer langen Hose aus feinstem Leinenstoff bekleidet war.

Interessant war hierbei, dass bei diesen beiden Grablegen einmal ermittelt wurde, welchen zeitlichen Aufwand man für die Herstellung der entsprechenden Kleidungsstücke benötigt. Wenn diesem Zeitaufwand ein heute üblicher Stundenlohn von 15,- € pro Stunde gegengerechnet werden würde, dann würde die Hose des Mannes heute knapp 7000,- € kosten. Die Tunika würde hier bei rund 24.000,- € liegen und das blaue Diamantköpertuch der Frau sogar bei über 66.000,- €. Natürlich sind diese Zahlen rein hypothetisch gemeint, zeigen aber auch eine Wertstellung auf, die auch für das Frühmittelalter galt.

Kathrin, Ulrich und Coco
vor dem Alamannenmuseum

Abschließend wurde in der Ausstellung die Frage aufgeworfen, wie wir heute mit Textilien umgehen. Im Jahr 2020 wird ein Kleidungsstück statistisch gesehen nur vier mal angezogen, bevor es weggeworfen wird. Bei der Herstellung von Bekleidung können wir heute zwar größtenteils auf Maschinen zurückgreifen, bei den Näharbeiten ist aber immer noch viel Handarbeit notwendig, die fast ausschließlich von Frauen unter teils menschenunwürdigen Umständen in Billiglohnländern erledigt wird. Sowohl in der Ausstellung, als auch im Begleitband, wird darauf hingewiesen, dass es wünschenswert sei, wenn sich der Trend zu einem bewussteren Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen auch in den Bereich der Bekleidung hinein ausdehnen würde. Einem Wunsch, dem wir uns vorbehaltslos anschließen möchten.

Literatur- und Quellenangabe:
Alamannenmuseum Ellwangen - "Gut betucht - Textilerzeugung bei den Alamannen", 2020
Theune- Großkopf, Barbara - "Mit Leier und Schwert", 2010

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