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Barbaren

Nachgedanken von Ulrich Klages

Eine Maske zu tragen
war schon vor 2000 Jahren modern.

Das Jahr 2020 scheint nicht nur das Jahr der Corona Pandemie zu sein, sondern erstaunlicherweise auch das Jahr der "Germanen".

So hat das Staatliche Museum in Berlin bereits am 18.09.2020 eine Ausstellung zum Thema Germanen - eine archäologische Bestandsaufnahme in der James-Simon-Galerie in Berlin eröffnet. Diese Ausstellung läuft noch bis zum 21.03.2021 und wird sicherlich auch von uns besucht. Zumindest ist es geplant

Auch das GEO Magazin hat die Germanen in seiner Ausgabe vom Oktober 2020 als Titelthema aufgegriffen. Der Artikel ist mit sehr eindrucksvollen Bildern des Illustratoren Samson J. Goetze ausgeschmückt. Er startet mit seiner Erzählung bei der Schlacht am Harzhorn im Jahr 235 n. Chr. und geht dann sehr detailliert auf das germanische Leben in der Feddersen Wierde vom ersten bis zum dritten Jahrhundert ein. Er endet mit einem Hinweis auf die friesische Wurt Fallward, die etwa eineinhalb Kilometer südlich von Feddersen Wierde liegt. Über die Varusschlacht (nach neuesten Erkenntnissen sprechen wir nun von einem Varusereignis) wird auf Seite 43 ebenfalls in zwei Absätzen berichtet.

Den Erwerb dieser Ausgabe möchte ich an dieser Stelle jeden Geschichtsinteressierten empfehlen. Der Bericht ist sehr gut geschrieben.

Und schließlich hat der Streaminganbieter Netflix mit einer Serie nachgezogen, die mit dem Titel "BARBAREN" seit dem 23.10.2020 verfügbar ist. Auch wenn diese Serie im Vorfeld gut beworben wurde, bin ich erst am Donnerstag (22.10.2020) durch den Blogeintrag Nachtgedanken zu einer neuen Netflix Serie auf der Seite vom Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen darauf aufmerksam gemacht worden. Bereits im zweiten Satz wird diese Serie als "deutsche Antwort auf Vikings" bezeichnet. Eine Aussage, die nicht gerade auf einen guten Qualitätsstandard hinweist. Auch im weiteren Verlauf dieser "Nachtgedanken" werde ich zunehmend mehr negativ auf diese Serie eingestimmt. Ich bin kein Freund von Serienfilmen. Ich habe mir weder "Vikings" noch "Game of Thrones" angesehen. Aber immerhin hatte ich mal die erste Staffel von "Last Kingdom" geschafft. Natürlich ohne irgendwelche Ansprüche an diese Serie gehabt zu haben. Im Grunde genommen sind das doch alles "Schlamm und Leder – Filme", wie es die Firma Kaptorga - Visual History immer so schön nennt.

Aber Moment mal... hatten die Leute von Kaptorga nicht mal erwähnt, dass die bei einer Germanen - Produktion mitwirken? Eine kurze Internetrecherche bestätigte mir, dass Kaptorga tatächlich bei der Netflix Serie "Barbaren" beteiligt war. Kaptorga ist mir ausschließlich als qualitativ hochwertig bekannt – wie passt das zur vernichtenden Kritik von Karl Banghard, dem Museumsleiter des AFM Oerlinghausen? Meine Verwirrung war perfekt! Und meine Entscheidung, mir diese Serie anzusehen ist gefallen.

Bereits einen Tag später sollte diese Serie starten. Am Freitag Abend habe ich es mir also nach der Arbeit vor dem Fernseher gemütlich gemacht und mit der ersten (und bisher einzigen) Staffel begonnen. Es war unglaublich, dass ich es geschafft habe, alle sechs Folgen dieser Staffel mit nur wenigen Unterbrechungen in einem Zug anzusehen. Den Unterhaltungswert kann ich daher nur grandios nennen. Aber was ist nun mit der Kritik? Nun denn, ich fange mal an:

Die Sprache

Die Verständigung zwischen Römern und Germanen
funktionierte sehr gut. Es wurde sogar Handel betrieben.
©GEO Magazin und ©Samson J. Goetze.

Die Römer sprechen in ihrer Muttersprache, nämlich in Latein. Der Betrachter erhält hierzu deutsche Untertitel. So lästig das Lesen für den einen oder anderen auch sein mag, den Lateiner und auch mich, hat und wird es faszinieren. Aber die Idee ist nicht neu. Bereits 1995 (?) wurde dieses in dem Filmprojekt Die Hermannsschlacht - Deutschland im Jahre 9! realisiert. Und auch wenn dieses ein absoluter Low-Budget-Film war, der bewusst alle Klischees in sich vereinte, die römischen Helme sichtbar aus Alufolie bestanden und die Standarten goldfarben angesprühte Pappteller waren, so war ich damals von diesem Film begeistert. Vielleicht auch deshalb, weil er intellektuell aufgebaut war, und Szenen enthielt, wie zum Beispiel die, in der die Dichter Grabbe und Kleist philosophierend über das Schlachtfeld spazierten, während die eigentliche Schlacht zeitgleich im Hintergrund lief.

Das schöne Latein lobt auch die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel: "Was für ein schönes Latein"

Aber was war mit der Sprache der Germanen passiert? Wenn die Römer Latein sprechen, dann sollte man doch annehmen, dass auch die Germanen (oder sollte ich sie ab hier nur noch Barbaren nennen?) in ihrer Muttersprache sprechen. Dann wäre allerdings die gesamte Serie ausschließlich mit Untertiteln versehen gewesen. Und dieses wollte man vermutlich vermeiden und hat sich für eine Sprache entschieden, die der geneigte Zuschauer versteht und mit der er sich am besten identifizieren kann: die deutsche Sprache des 21. Jahrhunderts! Ja, tatsächlich, die Barbaren sprechen in unserer heutigen Umgangssprache. Teilweise auch etwas "nuschelig". Für mich persönlich klingt das etwas befremdlich, bringt aber auf der anderen Seite sehr lustige Dialoge hervor, die einen auch zum lachen bringen.

Vielleicht wollte man aber auch mit den unterschiedlichen Sprachen den "Zusammenprall zweier unterschiedlicher Kulturen" unterstreichen. Die Römer stehen hoch gebildet und kultiviert den wilden und primitiven Barbaren gegenüber, die nichts wert sind und nur als Sklaven etwas taugen. (Womit ich jetzt nicht sagen möchte, dass unsere Umgangssprache wild und primitiv ist).

Doch so groß war dieser "Zusammenprall" gar nicht. Römer und Germanen kannten sich schon länger und trieben sogar Handel miteinander. Selbst der Limes war keine feste undurchdringliche Grenze. Und auch im römischen Militärdienst haben Germanen als Föderaten gedient.

Die Kleidung

Germanischer Anführer im 2. Jh. (rechts) und ein Heimkehrer aus dem römischen Militärdienst um 430 n. Chr. (links) Illustration von ©Kelvin Wilson zur Niedersächsischen Landesausstellung SAXONES, 2019

"Die Germanen sind meist halbnackt. Ihre Blöße bedecken sie notdürftig mit Tierfellen." - so beschreibt der griechische Geschichtsschreiber Diodor die Tracht der Germanen - Verzeihung, der Barbaren - im ersten Jahrhundert vor Christus.
Und tatsächlich fallen mir auch einige Protagonisten in der Serie entsprechend auf. Ein Schaffell über den nackten Oberkörper gelegt, eine Leinenhose an - und fertig ist der Barbar. Auch weitere Darsteller treten in dieser Ausstattung auf. "Jawohl", sagte ich zu mir, "das ist das, was Karl Banghard und anderen Kritikern negativ aufgefallen ist." Meine negative Voreingenommenheit wurde bestätigt! Schließlich gibt uns die Archäologie ein völlig anderes Bild von der germanischen Tracht. Durch zahlreiche Funde von Moorleichen können wir heute die Art der Bekleidung der damaligen Menschen ziemlich genau rekonstruieren. Oder etwa nicht?

Überrascht war ich dann doch von der Ausstattung des "Reik" (= Fürst) Segimer (dem vermutlich leiblichen Vater von Arminius) sowie der des Segestes. Beide trugen prachtvolle Mäntel, die mich tatsächlich an den Thorsbergmantel erinnerten. An der Stelle war ich dann doch schon beeindruckt. Natürlich gab es bei den Germanen auch schon soziale Unterschiede. Ein Anführer trägt einen Mantel, einem einfachen Schafhirten steht so etwas einfach nicht zu. Und dann fällt auf, dass nicht alle Barbaren in Felle gehüllte Wilde sind. Bis zum Ende der fünften Folge, muss ich diese negative Einstellung wieder revidieren.

Die sechste Folge, in der die eigentliche Schlacht dann stattgefunden hat, hat mich dann doch mehr irritiert. Thusnelda, die Tochter des Segestes, ist von einer Anführertochter zu einer Art "Amazonen-Xenia-Walküren-Kriegerin" mutiert. Sie opfert sogar ein Auge, wie es einer ihrer Götter getan haben soll, um die anderen Anführer von der Schlacht zu überzeugen.  Die Barbaren waren allesamt mit einer Art "Kriegsbemalung" versehen. Schwarze Gesichter und bemalte Körper, Kopfschmuck mit Geweih, Schulterfelle – fast alle Klischees waren hier vorhanden. Und es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass Thusnelda an der Schlacht selbst beteiligt war.

Zu der Ausstattung der Römer kann ich an dieser Stelle nichts sagen. Ich habe aber den Eindruck, dass diese nahezu fehlerfrei ist und auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert.

Die Story

In der Serie geht es um die berühmte Varusschlacht, in der Arminius (auch bekannt als Hermann der Cherusker) drei römische Legionen schlägt und vernichtet. In den Geschichtsbüchern steht teilweise noch, dass dieses historische Ereignis später zum Abzug der römischen Truppen aus der Provinz Germanien und zur Einstellung der Okkupationsabsichten führte. Das dieses offensichtlich nicht so ganz der Fall war, zeigt uns beispielsweise die bereits erwähnte Schlacht am Harzhorn im Jahr 235 n. Chr. auf.

So wurde die Schlacht im "Varusjahr" 2009
in Kalkriese nachgestellt.

Da ich an dieser Stelle nicht spoilern möchte, will ich zum eigentlichen Inhalt nicht viel sagen. Ich stelle einfach einmal einen Vergleich mit einem anderen Filmereignis an. Nehmen wir uns doch einmal den Film Titanic vor Augen. Auch hier handelt es sich um ein historisches Ereignis, dass tatsächlich stattgefunden hat. Das Schiff ist gleichermaßen untergegangen wie die römischen Legionen im Teutoburger Wald. Und in beiden Filmproduktionen gibt es eine Dreiecksbeziehung, an der die Handlung geknüpft ist. Die Geschichte wird unter Einbindung von historischen Persönlichkeiten und fiktiven Charakteren sehr unterhaltsam erzählt.

Bei "Barbaren" fand ich den Wandel des Arminus vom römischen Präfekten zum Anführer des germanischen Aufstandes sehr gut dargestellt. Der junge Arminius, der als Kind von seinen Eltern entrissen und von seinem Ziehvater Varus nach römischen Prinzipien aufgezogen und ausgebildet wurde. Seine Zweifel und seine Gefühlsschwankungen zwischen seiner eigentlichen Herkunft und seiner Erziehung. Bis er irgendwann erkennt, dass er nur eine Geisel war, die zur Sicherung des Friedens diente. Es endete mit dem Verrat an seinen Ziehvater Quinctilius Varus.

SIC EUNT FATA HOMINUM

Bemerkungen zum Abschluss

Warum habe ich das überhaupt geschrieben? Glaube ich wirklich, dass Netflix daran interessiert ist, uns eine geschichtliche Wissensvermittlung zu präsentieren? Sehe ich das als musealer Geschichtsdarsteller nicht etwas zu eng? Es geht doch in erster Linie um Unterhaltung, um Geld und um Einschaltquoten. Oder?

Nun, ich habe es geschrieben, weil es mir irgendwie in den Fingern gejuckt hat. Ich habe mir die Serie nur deshalb angesehen, weil Kaptorga daran beteiligt war und weil ich gerne sehen wollte, was die "Jungs" erreicht haben. Ist Barbaren wirklich die "deutsche Antwort auf Vikings", wie eingangs behauptet? Oder ist es mehr? Ist hier eine deutliche Qualitätsverbesserung eingetreten?
Ein Sprichwort sagt, dass eine "Schwalbe noch keinen Sommer macht". Und wenn man sich den Abspann ansieht, dann erscheinen die Namen der "Weapon Master, Historical Advisor" und den "Substitutes" erst ziemlich weit am Ende. Ich weiß nicht, ob dieses eine Wertigkeit oder Wichtigkeit darstellt, aber es dürfte klar sein, dass die Kaptorga-  Mitarbeiter nicht in allen Bereichen entsprechend einwirken konnten. Positiv empfand ich die Abwesenheit von den sonst üblichen Lederarmstulpen und der Schlamm- und Leder- Fraktion. Auch viele kleine Details, wie zum Beispiel Rennfeueröfen im Dorf oder historisch korrekte Bewaffnung bei einzelnen Protagonisten fallen angenehm ins Auge. Und schließlich ist auch das Germanendorf sehr liebevoll errichtet worden. Und ich kann ein Lied davon singen, was es bedeutet, ein historischen Gebäude zu bauen.
Wo Licht ist, ist natürlich auch immer irgendwo Schatten. Der Einsatz von "Brandbeschleunigern" und entsprechende Brandgräben/kanäle in der finalen Schlacht empfand ich dann doch wieder sehr verstörend. Auch die bereits erwähnten Schulterfelle und Helme mit einem sehr hohen Tieranteil wurden hier von den Barbaren getragen. An den Johannisbeeren möchte ich mich an dieser Stelle nicht festbeißen.

Obwohl ich von "Vikings" nur Ausschnitte, Trailer, Fotos und kritische Berichte kenne, behaupte ich, dass der Qualitätsstandart bei "Barbaren" tatsächlich sehr viel höher liegt. Also alles in allem ein großer Schritt nach vorn in Richtung museal ausgestattete TV- Produktionen.

Meine Empfehlung: Schaut euch diese Serie an! Ich finde sie gut, obwohl ich, wie schon erwähnt, kein Serienfreund bin.

Ein historisches Review von "Armidas", einem Historiker, ist hier bei youtube zu sehen.

Bildquellen:
Abb.1: "Römische Maske" ©Scotelingo, Fotografiert am 11.06.2009 im Museum und Park Kalkriese zur Sonderausstellung "Konflikt"
Abb.2: "Grenzkontrolle am Limes" ©GEO Magazin und ©Samson J. Goetze mit freundlicher Genehmigung.
Abb.3: "Saxones" Illustration von ©Kelvin Wilson zur Niedersächsischen Landesausstellung SAXONES, 2019. Fotografiert im Foyer des Braunschweigischen Landesmuseums am 28.12.2019
Abb.4: "Schlachtszene" ©Scotelingo, Fotografiert am 11.06.2009 im Museum und Park Kalkriese zur Sonderausstellung "Konflikt"

Literaturhinweise:
Ausbüttel, Frank M. - "Die Germanen" (Geschichte Kompakt), 2010
GEO Magazin - Ausgabe 10/2020
Kilian, Lothar - "Zum Ursprung der Germanen", 1988
Krause, Arnulf - "Von Göttern und Helden - Die mystische Welt der Kelten, Germanen und Wikinger", 2010
Münch, Willi - "Die Schlacht im Teutoburger Wald", 1987
SAXONES Begleitband zur Niedersächsischen Landesausstellung 2019, Neue Studien zur Sachsenforschung 7, 2019
Simek, Rudolf - "Religion und Mythologie der Germanen", 2003
Schön, Mathias D. - "Feddersen Wierde, Fallward, Flögeln", Archäologie im Museum Burg Bederkesa, 2008
Spitra, Helfried & Kersken, Uwe (Hrsg.) - "Die Germanen - Neues, Interessantes und Überraschendes von den Stämmen des Nordens", 2007
Tacitus, Cornelius - "Germania", 98
Todd, Malcolm - "Die Germanen - Von den frühen Stammesverbänden zu den Erben des weströmischen Reiches", 2000
Wells, Peter S. - "Die Barbaren sprechen", 2007

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