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Unser Tagebuch

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Die Sachsen - Vom Pirat zum Kaiser

Mitwirkung bei einer TV Produktion für ARTE/ MDR

Der Anfang

Thomas Günter als Otto der Große bei der Kaiserkrönung

Aufnahme entstanden im Rahmen der Dokumentation „Die Sachsen“ ©Tellux Dresden/MDR/ARTE_2024 Fotograf: Samuel Gasparini

Zeitgeschichtliche Dokumentationen, die im Fernsehen laufen, werden von Geschichtsdarstellern sehr kritisch betrachtet, da das Mittelalter in vielen Fällen als dunkel, schmutzig und farblos abgebildet wird. Auch eine historische Korrektheit fehlt oftmals. Zudem werden viele Klischees bedient um einen Unterhaltungswert zu bekommen. Ein "Schlamm- und Leder Genre" ist entstanden.

Als nun unser Freund Thomas Günter, der darstellerisch im Bereich der Ottonik auf der Königspfalz Tilleda agiert, über die sozialen Medien an uns herantrat und fragte, ob wir an einer ARTE Produktion über die Sachsen Interesse hätten, waren wir zunächst zwiegespalten. Die Vorstellung, mal ins Fernsehen zu kommen, war zugegebenermaßen schon sehr attraktiv und warum soll man immer negativ denken? Die Dokumentationen von ARTE sind ja nun nicht so schlimm, wie so einiges, was von anderen Sendern kommt. Schnell war also eine Facebook- Gruppe gegründet, in der sich auch tatsächlich viele gute und namhafte Geschichtsdarsteller zusammengefunden haben. Hier wurden Termine vereinbart und verschiedene Dinge im Vorfeld besprochen. Wir waren uns darüber einig, dass es keine "Schlamm- und Leder Produktion" werden sollte. Unsere historisch korrekt nachempfundene Bekleidung soll keinesfalls mit Dreck oder Kunstblut beschmiert werden. Wir hatten das Ziel, es einfach besser zu machen!

Die Vorbereitung

Die Reenactmentszenen wurden am 26. und 27. April auf der Königspfalz Tilleda abgedreht. Es lagen einige spannende und auch anstrengende Tage vor uns. Angereist sind wir bereits am Donnerstag. Auf der Königspfalz angekommen, richteten wir uns erst einmal ein und verstauten die mitgebrachten Realien im Webhaus. Andere Darsteller bauten ein Lager auf, während weitere in einem anderen Museumsgebäude oder auch in einem Hotel untergebracht waren. Abends sollte es dann eine Besprechung mit dem Produktionsteam von der Firma Tellux aus Dresden geben. Diese trudelten dann auch im Laufe des späten Nachmittages ein und sichteten zunächst erst einmal die Anlage, um zu sehen, welche Szenen wo gedreht werden können.

Mina Christ als Mathilde, Tochter von Kaiser Otto I. und Christoph Gottschalch als Widukind von Corvey beim Dreh in der Krypta der Stiftskirche St. Cyriakus in Gernrode.

©Mitteldeutsche Zeitung, Foto von Uwe Kraus.

Nach dem Abendessen (wir wurden über ein Catering ganz hervorragend versorgt) ging es dann los. Der Autor und Regisseur Volker Schmidt- Sondermann stellte sich und sein Team vor und erläuterte einige Verfahrensweisen. Da wir bereits im Vorfeld einen Drehplan zugeschickt bekommen hatten, der uns hinsichtlich der historischen Korrektheit etwas irritert hatte, war es Kathrin, die sich beim Regisseur nach der wissenschaftlichen Grundlage dieser Dokumentation erkundigte. Etwas erstaunt über diese Frage wurden wir aufgeklärt, dass die Sachsengeschichte des Widukind von Corvey „Res gestae Saxonicae“ den roten Faden des Plots darstellt. Diese soll zunächst so gezeigt werden, wie Widukind sie im 10. Jahrhundert aufgeschrieben hatte, um sie dann im Nachsatz zu hinterfragen und zu beleuchten. Diese Idee fanden wir alle sehr gut. Wir würden im Film also eine historische Schrift von einer historischen Figur abbilden und dann das Ganze der wissenschaftlichen Forschung gegenüberstellen, da diese Schrift in vielen Bereichen umstritten ist.

Siehe hierzu auch das letzte Kapitel.

Als „Hausherr“ der Königspfalz Tilleda stellte sich Museumsleiter Michael Dapper vor. Auch er ist eine Koryphäe in Sachen mittelalterlicher Geschichte und hat zahlreiche Schriften über die Pfalz und zu den Ottonen verfasst. Überzeugt von dem bevorstehenden Projekt, hatte er viele Zugeständnisse gemacht und auch selbst im Film mitgewirkt. Die Irminsul, die in der Dokumentation von den Franken zerstört wurde, hatte er selbst angefertigt.

Der Filmdreh

Aufnahmen entstanden im Rahmen der Dokumentation „Die Sachsen“ ©Tellux Dresden/MDR/ARTE_2024 Fotograf: Samuel Gasparini

Richtig los ging es dann am Freitag morgen mit der Eroberung der Erisburg. Das Wetter spielte mit, die Sonne stand richtig und wir waren alle hoch angespannt und motiviert. Während wir Sachsen oben auf dem Wall waren und uns hinter einer Palisade verschanzten, mussten die armen Darsteller der Franken diesen Wall in voller Rüstung und Bewaffnung mehrfach mit einer Leiter erstürmen, bevor die Szene im Kasten war. Aber auch oben hatten wir tatsächlich viel zu tun. Treppchen rauf, Treppchen runter, umherlaufen um die Waffen zu holen, Angespannt sein weil wir ja angegriffen wurden und um schließlich und endlich hinterher den Heldentod zu sterben. Diese Szene war gefühlt die längste und zog sich bis zum Mittagessen hin. Und irgendwie hatten wir auch alle einen kleinen Sonnenbrand.

Am nachmittag standen weitere Szenen an, die beispielsweise die Begegnung mit den Thüringern, eine "Völkerwanderung" sowie einen Gefangentransport zeigen. Und auch noch die Zerstörung der Irminsul stand auf dem Programm, die von den Sachsen von der Wisura heldenhaft bis zum letzten Atemzug verteidigt wurde. Die Säule wurde dann mit "Stihl" umgelegt.

Aufnahmen entstanden im Rahmen der Dokumentation „Die Sachsen“ ©Tellux Dresden/MDR/ARTE_2024 Fotograf: Samuel Gasparini

Samstag konnten wir ausschlafen, denn es ging erst um 10 Uhr wieder los. Zunächst ging es darum, die Thüringer, denen wir ja zunächst freundlich begegnet waren, bei einer festlichen Zeremonie niederzumeucheln. Dazu gab es als erstes eine Stellprobe, bei der wir tatsächlich etwas Schauspielunterricht bekommen haben. Auch Ulrich durfte mitmeucheln und fand sogar großen Gefallen an dieser Szene, die anschließend in einem der Gebäude auf der Pfalz abgedreht wurde.

Bei Widukind von Corvey heißt es: "Da sie sahen, dass die Feinde unbewaffnet und alle Fürsten der Thüringer anwesend waren, hielten sie den Zeitpunkt für günstig, sich der ganzen Gegend zu bemächtigen, zogen ihre Messer hervor, stürzten sich auf die Wehrlosen und Überraschten und stießen alle nieder, so dass nicht einer von ihnen überlebte. Damit fingen die Sachsen an, bekannt zu werden und den benachbarten Stämmen einen gewaltigen Schrecken einzujagen."

Die Taufe Widukinds

Foto: Josefine Behrendt

Eine der wichtigsten Szenen war sicherlich die Taufe von Herzog Widukind der von Jörg Stolzmann (Dat Beekfolk) sehr überzeugend gespielt wurde. Taufpate König Karl (zu dem Zeitpunkt noch kein Kaiser und noch nicht „der Große“) wurde von Markus Zwittmeier (Tribur.de) sehr eindrucksvoll dargestellt. Johannes Guilleaume (Austrasigenae) gab einen großartigen Bischof ab, der die Taufe sehr professionell vollzog. Und auch Ulrich ist in dieser Szene in das Gewand eines Messdieners geschlüpft.

Mehr Informationen zur Taufe findet ihr bei Tribur.de

Am nachmittag standen dann noch Aufnahmen von einem Thing sowie die Wahl von Widukind zum Anführer der Sachsen an. Auch hier gab es einige "epische" Bilder.

Sächsische Krieger überfallen ein britisches Dorf. Hierzu wurde eine friedliche Dorfszene eingerichtet, die ein wenig an das "Auenland" erinnert. Und tatsächlich nannte der Regisseur das auch so. Jeder Darsteller im Dorf (wozu auch wir gehörten) hatte eine Aufgabe und war mit irgendetwas beschäftigt. Kathrin stand an ihrem Webstuhl, während Ulrich am Lagerfeuer saß, sich mit anderen unterhielt und etwas Holz nachlegte. Kinder liefen durch die Gegend und auch unsere Hündin Coco war ruhig und zufrieden. Der Begriff "Auenland" passte also super! Und dann kamen die Sachsen! Aus drei Richtungen wurde diese Idylle angegriffen und zerstört. Alle Dorfbewohner wurden niedergemetzelt. Coco, die das Ganze für echt ansah, reagierte sogar etwas aggressiv und bellte wie verrückt. Im Film wird das hoffentlich gut rüberkommen, da es ja eine natürliche Reaktion vom Hund war. Im Großen und Ganzen war dieses eine Szene, an der die meissten Darsteller teilgenommen hatten. Und sie hat trotz des tödlichen Endes allen sehr viel Spaß gemacht.

Aufnahmen entstanden im Rahmen der Dokumentation „Die Sachsen“ ©Tellux Dresden/MDR/ARTE_2024 Fotograf: Samuel Gasparini

Es wird den Sachsen nachgesagt, dass sie "Rumgeheidet" hätten. Wie genau diese heidnischen Riten ausgesehen haben, ist nicht bekannt. Widukind von Corvey schreibt in seiner Sachsengeschichte "... bauten der Siegesgöttin einen Altar und verehrten sie in ihrem eigenen heiligen Ritus gemäß der Irrlehre der Väter..."

Die letzte Szene sollte ein heidnisches Ritual darstellen. Hierzu wurde ein Baum mit Knochen und Geweihresten behängt und unsere Aufgabe war es nach oben zu blicken und zu summen. Und um das Ganze noch etwas mystischer zu machen wurde auch wieder die Nebelmaschine angeworfen.

Der Hintergrund

Was will die Dokumentation? Sie möchte die Geschichte der Sachsen, die teilweise immer noch ein Mysterium ist, erläutern. Wie haben die Sachsen, die im 4. Jahrhundert noch als Piratenvolk die Küsten unsicher machten, es geschafft im 10. Jahrhundert auf dem Kaiserthron des römisch-deutschen Reiches zu sitzen? Als "Kronzeuge" für die sächsische Frühgeschichte gilt der Mönch Widukind aus dem Kloster Corvey (bei Höxter). Er war ein Zeitgenosse Ottos I. und überlebte den Kaiser. Seine Sachsengeschichte "Res gestae Saxonicae", die er im Jahr 968 einer Tochter Ottos I. namens Mathilde zu Füßen legte, bildet den roten Faden dieser Dokumentation. Mathilde war zu dem Zeitpunkt etwa zwölf- oder dreizehn Jahre alt und Äbtissin von Quedlinburg. Widukind schrieb in der Widmung, dass er die Taten ihres Vaters und Großvaters geschildert hätte, damit Mathilde "noch besser als gut und noch ruhmwürdiger als ruhmwürdig wurde". Weiterhin ist zu lesen, dass er "sich bemüht habe, auch über den Ursprung und Zustand des Stammes, über den der so mächtige Herr Heinrich als erster König regierte, einiges zu berichten, auf dass Du bei der Lektüre deinen Geist erfreust, die Sorgen verscheuchst und dich angenehm zerstreust."

Widukind hat ohne Frage in seiner Sachsengeschichte ein Idealbild gezeichnet und Mathilde und ihren Landsleuten eine lange und ruhmreiche Tradition vermittelt. Die "Res gestae Saxonicae" ist in der Wissenschaft sehr umstritten. Widukinds Schilderung der Königserhebung Heinrichs I. löste 1993 eine Grundsatzkontroverse über die Leistungsfähigkeit einer Erinnerungskultur aus. Das Werk wurde einerseits als ein "fehlergesättigtes Konstrukt" bezeichnet. Andere Ansichten beharrten darauf, dass die Freiheit zur Veränderung sehr begrenzt gewesen sei, sobald es um Sachverhalte ging, an den die Mächtigen ein aktuelles Interesse hatten. Der "Kronzeuge" sei damit vertrauenswürdig!

Es gibt also unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze. Daher ist es schwierig, die Geschichte der Sachsen neutral zu beleuchten. Die Dokumentation folgt hierbei der Ansicht von Prof. Gerd Althoff. Sie möchte zunächst den Mythos visualisieren, der durch den Biographen zitiert wird. Hierzu springt die Dokumentation immer wieder in die szenische Situation zwischen Widukind von Corvey und Mathilde zurück. Im Stil einer klassisch- dokumentarischen Spurensuche wird daraufhin der Wahrheitsgehalt mit Hilfe von archäologischen Funden und schriftlichen Quellen untersucht und auf den Stand der heutigen Erkenntnisse gebracht.

Literatur- und Quellenangabe:
Gerd Althoff - Widukind von Corvey. Kronzeuge und Herausforderung. In: Ders.: Inszenierte Herrschaft. Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter. Darmstadt 2003
Springer, Matthias - Die Sachsen, 2004
Widukind von Corvey - "Res gestae Saxonicae" Die Sachsengeschichte, Reclam, Stuttgart

Foto: Jörg Stolzmann

Die Reenactmentszenen, die an diesem Wochenende auf der Königspfalz Tilleda entstanden sind, füllen natürlich nicht die ganzen 90 Minuten des Films, der den Arbeitstitel "Die Sachsen – Vom Pirat zum Kaiser" trug. Bereits im Vorfeld wurden Aufnahmen im Kulturhistorischen Museum Magdeburg gemacht. Und auch in der Stiftskirche Gernrode wurde bereits gefilmt.

Weitere dokumentarische Filmaufnahmen finden in Quedlinburg (Drohnenaufnahmen Stiftsberg, Krypta mit Grab Heinrich I.), imMax-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig, in Magdeburg (Dom, Ottonianum, Kulturhistorisches Museum), in der Fürstlichen Bibliothek, Schloss Corvey, im Freilichtmuseum Sachsenhof, Greven-Pentrup, im Museum Burg Bederkesa, in Sonderburg, Dänemark und in Paris statt.

Der Erzählstrang der Dokumentation, dessen Autoren neben Regisseur Volker Schmidt noch Bettina Wobst sind, dürfte sehr interessant und spannend werden.

Wir freuen uns auf die Ausstrahlung, die vermutlich erst Anfang 2025 auf ARTE und dann in den dritten Programmen erfolgt. Sicherlich wird der Film dann auch in der ARTE Mediathek zu finden sein.

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