Unser Tagebuch
Das Gräberfeld auf dem Himmelsthürer Bernwardshof
Vortrag von Christoph Salzmann (Stadtarchäologie Hildesheim) in der Mensa des Gymnasiums Himmelsthür.
Ein Bauantrag für eine Privatstrasse in Hildesheim- Himmelsthür rief die Archäologie auf den Plan. Das zu bebauende Gelände – der Bernwardshof – war archäologisch interessant, da es im Umfeld einige Funde aus dem Neolithikum gab. Das Bauvorhaben wurde mit der Vorgabe der archäologischen Begleitung genehmigt. Diese fand in der Zeit von November 2019 bis Februar 2020 statt.
Die Bereiche, in denen Häuser stehen sollen sowie die Straße selbst, ergaben keine Befunde. In den Bereichen jedoch, in denen Versorgungsleitungen und Abwasserrohre verlegt werden sollen, wurde man schnell fündig. In diesen tiefer liegenden Bereichen wurden an zwei unterschiedlichen Stellen insgesamt 12 Gräber gefunden. Fünf der bestatteten Personen waren in einem Baumsarg beerdigt. Hierbei handelt es sich um Särge, die nicht aus Brettern geschreinert worden sind, sondern bestehen aus vollständigen Eichenstämmen, die zunächst vertikal gespalten und dann im Inneren ausgehöhlt wurden. Baumsärge sind in Hildesheim bisher noch gar nicht dokumentiert.
Die Gräber waren alle frei von Grabbeigaben. Es gab nicht einmal ein Kettchen oder einen Ring. Auch textile Reste, falls es sie gegeben haben sollte, haben sich im Laufe der Zeit vollständig zersetzt.
Alle Grablegen sind in Ost- West ausgerichtet, was für uns ein deutlicher Hinweis auf eine christliche Bestattung ist.
Es ist gelungen, einen der Baumsärge als Block zu bergen und zur weiteren Bearbeitung, bzw. Untersuchung nach Berlin zu bringen. Hier wurde das „Paket“ fachgerecht ausgegraben und dokumentiert. Auch eine dendrochronologische Untersuchung vom Holz des Sarges konnte gemacht werden. Das Ergebnis hat überrascht: Die Eiche ist im Jahr 760 gefällt worden. Ergänzend hierzu wurde auch eine C14 Untersuchung an den vorhandenen Skelettresten vorgenommen. Diese Radiokarbonuntersuchung bestätigt, dass die Knochen „mit 95 prozentiger Sicherheit“ aus der Zeit zwischen 775 und 987 stammen.
Doch wer waren die hier bestatteten Menschen? Handelte es sich um frühe Himmsthürer, die den Ort schon weit vor dessen erster urkundlichen Erwähnung im Jahr 1022 bewohnt hatten? Oder waren es Menschen aus anderen Regionen, die hier zugereist sind? Diese Frage stellt sich aufgrund der Verwendung von Baumsärgen, die in unserer Region für diese Zeit eigentlich unüblich sind. Haben die Bestatteten ihre heimischen Gebräuche mit in unsere Gegend gebracht? Eine isotopische Untersuchung der Zähne soll diese Frage noch klären.
In einem der Gräber wurde ein Kind beigesetzt, das nur sieben bis 11 Jahre alt geworden ist. Deformierungen der inneren Schädeldecke und siebartige Punktierungen des Knochens deuten darauf hin, dass das Kind krank gewesen sein muss, womöglich eine Hirnhautentzündung oder Hirnblutung erlitten hat. Zudem gab es Hinweise auf eine Mangelernährung.
In einem anderen Baumsarg lag ein Mann im Alter von etwa 40 bis 60 Jahren. Sein Oberschenkelknochen zeigt eine „Reiterfacette“. Hierbei handelt es sich um eine Gelenksflächenerweiterung am Oberschenkelkopf, die durch häufiges Reiten entstanden ist. Vor seinem Tod hat er einen Schlüsselbeinbruch erlitten. Ist er womöglich beim Reiten gestürzt?
Etwas spektakulär ist die Verletzung des Schädels eines etwa 35 bis 45 Jahre alten Mannes, die ihm vermutlich von einem Schwert oder einer ähnlichen Waffe zugefügt wurde. Es hätte nicht viel gefehlt, und das Metall hätte seine harte Hirnhaut durchtrennt. Aufgrund der Ausheilung dieser Wunde ist klar, dass diese Person den Angriff überlebt hat. Aber ob das noch ein angenehmes Leben war, ist sehr zu bezweifeln. Seine Langknochen zeigen, dass er starke Wadenmuskeln hatte und ebenfalls viel geritten ist.
Die Funde in ihrer Gesamtheit machen deutlich, dass um 800 im Zentrum von Himmelsthür über mehrere Generationen Menschen gelebt haben. Fünf Knochenfunde stammen von Kindern zwischen einem und elf Jahren, acht von Leuten zwischen 20 und 35 Jahren, zwei von 20- bis 40-Jährigen, sechs von 30 bis 50-Jährigen, einer von einem 40- bis 60-Jährigen, einer von einem 25- bis 55-Jährigen. Sechs Personen dürften weiblich, sieben männlich gewesen sein, bei zehn Funden war eine Eingrenzung nicht möglich.
Die Frage, wer nun diese Bestatteten waren, kann bisher nicht eindeutig beantwortet werden. Da aber bei einigen der Toten eine Reittätigkeit nachzuweisen ist, liegt die Vermutung nahe, dass es sich eventuell um fränkische Panzerreiter handeln könnte.
Eine Ausstellung der Funde – wie aus dem Kreis der Teilnehmer angefragt – wird es sicherlich nicht geben. Es ist aber geplant, die sterblichen Überreste der Menschen aus dem frühen Mittelalter erneut auf einem Friedhof zu bestatten. Hierzu wird es vielleicht auch noch eine entsprechende Gedenktafel geben. Eine Publikation wird sicherlich noch erscheinen. Darauf sind wir gespannt und natürlich auch, was die Untersuchung der Zähne ergeben hat.
Bildquellen:
Foto Grab 46: Bild aus der Vortragsveranstaltung
Foto Blockbergung: Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 07.02.2022.
Foto Panzerreiter mit freundlicher Genehmigung von Stefan Erdenkäufer.